Arbeit macht krank - und nicht frei!

Vor 70 Jahren fand die Befreiung des KZ Auschwitz statt. An den Toren vieler KZ-Stätten fand sich der zynische Satz: "Arbeit macht frei." Heutzutage wird die Arbeit als Sinn des Lebens angesehen. Wir unterscheiden Arbeits- und Freizeit!

Das Recht auf Arbeit

Karl Marx und Friedrich Engels postulierten 1848 in ihrem Kommunistischen Manifest „das Recht auf Arbeit“. Nachdem Arbeit zuvor erzwungen wurde, sollte es nun ein Recht darauf geben. Dieses Manifest des Rechtes auf Arbeit ist bekanntermaßen nur unter den soziologischen Bedingungen zu verstehen, die Marx und Engels in ihrer Zeit vorgefunden hatten. Es gab ein Elend für die Mehrzahl der Bevölkerung im 19. Jahrhundert in Mitteleuropa, ähnlich dem, wie wir es heute in den Entwicklungsländern und den so genannten Schwellenländern sehen. Marx schreibt allerdings an anderer Stelle seiner monumentalen Schriften: „Die kommunistische Revolution richtet sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit, beseitigt die Arbeit. (...) Die bloße Befreiung der Arbeit ist bereits eine Errungenschaft der kapitalistischen Gesellschaft. Der Kommunismus aber kann die „Sorge“ des Bürgers und die Not des Proletariers nur aufheben, indem er „die Ursache beider“, nämlich die „Arbeit“ selber aufhebt. Marx versteht unter „Arbeit“ jene Tätigkeit, die in der Warenproduktion einen Mehrwert hervorbringt oder „Kapital produziert“. In diesem Sinn verstanden, bedeutet Arbeit, dass dem arbeitenden Individuum eine freie, allseitige Entwicklung versagt wird. Unter dieser Voraussetzung ist es für Marx klar, dass die Befreiung des Individuums zugleich die Negation der Arbeit ist. Die „Arbeit“ soll der „Selbstverwirklichung“ Platz machen. Dahinter steht letzthin der Wunschtraum von einem paradiesischen Zustand, in dem sich der freie Mensch seine freie Betätigung jeweils selbst aussuchen kann, ohne sich auf eine bestimmte ausschließliche Form derselben festlegen zu müssen. Erinnert sei daran, dass ein Schwiegersohn Karl Marx’, der Sozialist und Arzt Paul Lafargue, einem damals sehr wichtigen Führer der internationalen kommunistischen Bewegung,

 

„Das Recht auf Faulheit“ („Le droit à la paresse“) 1880 publizierte. Sowohl Lafargue als auch diese seine hoch interessante sehr geistvolle und witzige Schrift sind heutzutage interessanterweise nahezu vergessen. Bleiben wir noch einen Moment in Marx’ und Lafargues Jahrhundert: Der Adel arbeitete nicht! Der Adel des 19. Jahrhunderts sah Arbeit als eine Schande an. Er repräsentierte, und das mit höchster Verschwendung, so wie es heute unsere bürgerlichen Politiker – Minister, von der Wortbedeutung ‚Diener’ - noch maßloser mit dem Geld des Souveräns, also des Steuer zahlenden Volkes, tun. Friedrich Nietzsche, der Vordenker Sigmund Freuds beschreibt in seiner Fröhlichen Wissenschaft den Umschwung der Wertvorstellungen des 19. Jahrhunderts: „Muße und Müßiggang. - Es ist eine indianerhafte, dem Indianer-Blute eigentümliche Wildheit in der Art, wie die Amerikaner nach Gold trachten: und ihre atemlose Hast der Arbeit - das eigentliche Laster der neuen Welt - beginnt bereits durch Ansteckung das alte Europa wild zu machen und eine ganz wunderliche Geistlosigkeit darüber zu breiten. Man schämt sich jetzt schon der Ruhe; das lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag isst, das Auge auf das Börsenblatt gerichtet, - man lebt wie einer, der fortwährend etwas ‚versäumen könnte’. ‚Lieber irgendetwas tun als nichts’ (…) Denn das Leben auf der Jagd nach Gewinn zwingt fortwährend dazu, seinen Geist bis zur Erschöpfung auszugeben, im beständigen Sich-Verstellen oder Überlisten oder Zuvorkommen: die eigentliche Tugend ist jetzt, etwas in weniger Zeit zu tun als ein anderer. (…) Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der Hang zur Freude nennt sich bereits ‚Bedürfnis der Erholung’ und fängt an sich vor sich selber zu schämen. ‚Man ist es seiner Gesundheit schuldig’ - so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. (…) -  Nun! Ehedem war es umgekehrt: die Arbeit hatte das schlechte Gewissen auf sich. Ein Mensch von guter Abkunft verbarg seine Arbeit, wenn die Not ihn zum Arbeiten zwang. Der Sklave arbeitete unter dem Druck des Gefühls, dass er etwas Verächtliches tue - das ‚Tun’ selber war etwas Verächtliches.“ Prophetische Gedanken eines Geistes, der in seiner eigenen Gedankenwelt lebte. 

 

Gesund ist, wer arbeitsfähig ist

Der Nachdenker Nietzsches, der Bürger und Atheist Freud, Sohn eines verarmten Kaufmanns wollte Erfolg haben und reich werden, und zwar durch Arbeit! Der Mediziner Freud definierte Gesundheit als "Arbeits- und Liebesfähigkeit". Beachtenswert ist die Reihenfolge: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! In seinem Essay Trauer und Melancholie führt Freud den Begriff der Trauerarbeit in die Psychoanalyse ein. In seiner „Traumdeutung“ spricht er sogar von der Traumarbeit. Nun werden sogar die Emotionen und Träume zur Arbeit. Heute sprechen Psychotherapeuten und Patienten gleichermaßen davon, dass an seelischen Prozessen gearbeitet werden müsse. Die von Freud kreierte Psychoanalyse war als Instrument der Emanzipation entwickelt worden, um frei von seelischen Behinderungen zu werden. Nun gibt es das Paradoxon: Arbeit, genauer Seelenarbeit, für die Befreiung! Man kannte seit der Antike arbeitsbedingte Erkrankungen. Hippokrates betont, dass bei der Erhebung der Krankengeschichte sehr genau auf berufliche Einflussfaktoren zu achten sei. Im Europa der Renaissance interessiert man sich mit dem Wiederaufleben der naturwissenschaftlichen Beobachtung vermehrt für den Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit. Bernardino Ramazzini veröffentlicht im Jahr 1700 mit seiner Schrift De morbis artificum diatriba die erste geschlossene Darstellung wichtiger Krankheiten von 40 Berufsgruppen. Freud reiht sich damit in die Arbeitsmedizin ein. Bei Freud ist Arbeit nunmehr ein Kriterium der Gesundheit. Der Begriff ‚Arbeitsmedizin’ wird 1929 von der "ständigen Kommission für Berufskrankheiten und Arbeitshygiene" der Weltgesundheitsorganisation in den offiziellen Sprachgebrauch eingeführt. In den Psychiatrischen Kliniken, die zum großen Teil aus den von den Protestanten gegründeten Arbeits- und Zuchthäusern hervorgingen, gibt es seit den 20iger Jahren des 20. Jahrhunderts bis zum heutigen Tage die Arbeitstherapie. Die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess hat oberste Priorität; nicht die Gesundung der Seele! ‚Psychiater’ ist von der Wortbedeutung der Seelen- und nicht der Arbeitsarzt. Was seit der Antike, und seitens des Mythos der Vertreibung aus dem Paradies als Strafe galt, ist nunmehr zur Therapie deklariert worden. Es stellt eine gewisse Perversion dar, wenn depressive Patienten, die sich aufgrund ihres überstrengen Gewissens krank gearbeitet haben – eine Depressionsform nennt man heute bekanntlich Burn-Out-Syndrom -, nun aus therapeutischen Gründen arbeiten sollen. Analog dazu gibt es das Bore-Out-Syndrom, die altbekannte Langeweile. Die heutigen Halbgötter in weiß sind nicht vornehmlich an der Gesundheit, sondern an der  Arbeitsfähigkeit der Patienten interessiert – denn auch die Ärzte müssen ja schließlich arbeiten. Sie wissen nichts mehr von der Lebenskunst. Früher gab es die Ars vivendi und die Ars moriendi!

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Katun (Donnerstag, 05 Februar 2015 02:27)

    diese krankmachende Aufteilung in Arbeits- und Freizeit, in bedrückende Last und Pflichterfüllung= Arbeit und Freiheit und Freude= Freizeit, ist mir nie so bewußt gewesen. Warum soll meine Tätigkeit nur Last sein und nur die Freizeit Lust sein.
    Sie haben einen wundervollen, lustvollen, möglichen Lebensansatz dargestellt. Danke

  • #2

    i. lauer (Sonntag, 15 Februar 2015 13:14)

    weiter so. das gefällt mir. recht auf faulheit auf kreativen müßiggang. wir schlafen ja auch und sind dann wieder wach und vielleicht tatkräftig. müßiggang ist für mich genauso wichtige regeneration- lebensnotwendig für unsere seelische und körperliche gesundheit.